In Deutschland wird nach wie vor offenbar reichlich leichtfertig mit Antibiotika in der Tiermast umgegangen. Das NRW-Verbraucherschutzministerium legt eine weitere Studie vor, laut der in drastischem Umfang Antibiotika-Verschleppungen über Mastdurchgänge hinweg festgestellt wurden.

Mastgeflügel in NRW kommt offenbar auch außerhalb von Therapiezeiten und teilweise sogar ohne tierärztliche Verordnung in Kontakt mit Antibiotika. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die am 3. Juli in Düsseldorf vorgestellt wurde. „Wir müssen erneut feststellen, dass es in der Intensivtierhaltung ein massives Antibiotika-Problem gibt. Doch statt sich diesem Problem zu stellen, betreiben viele Akteurinnen und Akteure ein durchschaubares Spiel: verharmlosen, verschleiern und verwässern“, kritisierte NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel. „Der Einsatz von Antibiotika hat ein Ausmaß erreicht, das völlig indiskutabel ist“, betonte der Minister. Die antibiotikafreie Geflügelmast müsse auch nach dem Ergebnis der neuen „NRW-Verschleppungsstudie“ nur noch als Ausnahme und nicht als die Regel bezeichnet werden. Minister Remmel erneuerte daher seine politischen Forderungen: „Wir müssen die Antibiotika-Ströme in der Tierhaltung endlich vollständig transparent machen. Und wir brauchen einen konkreten Fahrplan, wie wir Antibiotika grundsätzlich aus den Ställen verbannen können. Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht.“

Im Auftrag des NRW-Verbraucherschutzministeriums hat das Landesumweltamt (LANUV) in den Monaten Januar und Februar eine zweiwöchige Schwerpunktinspektion in 42 Ställen (40 Betriebe) in 12 Kreisen und kreisfreien Städte in NRW durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 58 Proben aus dem Tränkwassersystem entnommen und auf antimikrobiell wirksame Substanzen untersucht. Ziel der Untersuchung war es, erstmalig Informationen über die Rückstandssituation antibiotisch wirksamer Substanzen im Tränkwasser nach Behandlungsende und mögliche Verschleppungen von einem zum anderen Mastdurchgang zu erlangen. Es handelt sich hierbei um eine Stichproben-Untersuchung. Das LANUV hat den Abschlussbericht jetzt dem Ministerium vorgelegt.

Die wichtigsten Ergebnisse der „NRW-Verschleppungsstudie“ sind:

  1. In 26 von 42 (rund 62 %) überprüften Ställen wurden auffällige Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen in Tränkwasser ermittelt, teilweise sogar ohne tierärztliche Verordnung.
  2. Nur in 16 von 42 (rund 38%) Ställen waren alle Tränkwasserproben unauffällig.
  3. Die Zeitspanne vom letzten dokumentierten Behandlungsdatum bis zum Tag der Probenentnahme variierte dabei zwischen 1 und 1085 Tagen. Damit wurden Verschleppungen mit antibiotisch wirksamen Substanzen weit über das Ende des Mastdurchganges nachgewiesen.
  4. Es wurden Rückstände von bis zu 4 (Hühnermast) bzw. bis zu 7 (Putenmast) verschiedener Wirkstoffe je Stall nachgewiesen.
  5. Es wurden z.B. 6 Wirkstoffe im Bereich der Putenmast festgestellt, für die aktuell zumindest in Deutschland keine Zulassung für Fertigarzneimittel für diese Tierart existiert.
  6. In zwei Fällen wurden Antibiotika-Wirkstoffe gefunden, ohne dass eine entsprechende Dokumentation in den Betrieben über ihre Anwendung vorlag.

Das LANUV prüft derzeit mit Blick auf einzelne Studien-Ergebnisse die Einleitung weiterer rechtliche Schritte in einzelnen Fällen. Die Zunahme antibiotikaresistenter Keime stellt eine immer größere Herausforderung an den gesundheitlichen Verbraucherschutz dar. Viele Expertinnen und Experten sind sich darin einig: Jeder Einsatz von Antibiotika auch im Bereich der Tierhaltung begünstigt die Resistenzentwicklung und die Ausbreitung von resistenten Bakterien. Remmel: „Wir brauchen daher weitere Untersuchungen, die darlegen, welche Auswirkungen die gefundenen Substanzen in unserer Studie und die festgestellten Konzentrationen im Tränkwasser auf die Bildung von multiresistenten Keime haben“, so Remmel.

Remmel fordert die Bundesregierung mit Blick auf die größer werdende Resistenzproblematik auf, nun Taten folgen zu lassen. Bisher gebe es weder eine Verständigung auf einen Nationalen Antibiotika-Gipfel, noch einen konkreten Fahrplan, wie die Medikamente reduziert werden können. „Zudem bleibt Bundesministerin Aigner einmal mehr ihrem Ruf als Ankündigungsministerin treu: Trotz vollmundiger Ankündigungen vor Monaten liegt immer noch kein substantieller Entwurf einer 16. Arzneimittelgesetz-Novelle (AMG) vor, obwohl es zahlreiche, sogar einstimmige, Beschlüsse der Landwirtschaftsministerien sowie des Bundesrates gibt. Ich fordere die Bundesregierung daher dringend auf, endlich die rechtlichen Weichen durch eine Gesetzesänderung zu stellen, damit wir dem Ziel der Minimierung des Antibiotika-Einsatzes in der Intensiv-Tierhaltung näher kommen.“.

Zudem werde immer noch eine vollständige Transparenz über die Antibiotika-Vertriebswege, beginnend bei den pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern bis zum einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb, blockiert. Remmel: „Die selbst angekündigte Transparenz der Geflügelbranche ist offenbar nicht mehr als eine Worthülse.“.