Fangen wir mit der wichtigsten Erkenntnis an: Der Kauf von Bio-Lebensmitteln hat immer weniger mit allein Überzeugungs-getriebenem Verhalten zu tun. Es gibt eine kleine Gemeinde der Überzeugs-  und Gesinnungstäter, aber die allein machen den heutigen Massenmarkt für Bioprodukte in Deutschland nicht aus, sondern nur noch maximal 10 % dieses Marktes. Das kann man nur schätzen  – belastbares Zahlenmaterial gibt es nicht. Eine sicherlich größere Gruppe hat rationale Gründe für den Kauf von Bioprodukten: Ernährung ohne Pestizide, ohne schädliche Zusatzstoffe, besserer Umgang mit Tieren, Schutz von Umwelt und Klima. Solche Grundmotive tauchen in der Realität nie völlig alleinstehend auf, sondern eher Teil eines Motivationsclusters.

Ein weiteres wichtiges Element in diesen Clustern sind Aspekte von Trend und Schick-Effekt. Gerade unter dem Thema „vegan“ muss man einen entsprechenden Anteil annehmen. Hier muss man sich einfach klar sein, dass derartige „Likes“ zum Teil ein sehr flüchtiges Gut sein können und nur sehr bedingt ein dauerhaftes Kauf- und Verhaltensmotiv bleiben. Allerdings ist genau dieser Effekt aber ein wichtiges Einstiegsmotiv in eine veränderte Ernährung und genau deshalb lohnt es sich auch, sich damit zu beschäftigen.

Ein etwas anderer, aber ähnlicher Fall ist die Zuneigung zu Bio aus Prestigegründen. Jede Gesellschaft sucht nach Anzeichen und Darstellung von Erfolg in verschiedenen Lebensbereichen und das trifft natürlich auch für Ernährung und Lebensmittelkonsum zu. Wir beobachten beispielsweise im benachbarten Frankreich, wie dort regionale Bioprodukte heute immer mehr die einstige Rolle der im 20. Jahrhundert noch hoch geschätzten Regionalspezialitäten einnehmen. Als nachweisbarer Ausweis von Qualität eignet sich Bioqualität als gute Begründung für einen besseren Habitus in der Ernährung. Aber auch die dadurch erreichbare Zielgruppe liegt allerhöchstens bei 20 %

In Deutschland eher diffus, aber zum Teil parallel damit sei dann noch das Thema „Geschmack“ genannt. Das ist in Deutschland so schwierig, weil in der Massenkultur in Deutschland anders als beispielsweise in Frankreich oder Italien die festen und belastbaren Kriterien für hochwertigen Geschmack nicht allgemein verbreitet sind. Wie anders ließe es sich erklären, dass in Deutschland immer wieder derart viele den Geschmack verfälschende Lebensmittelmanipulationen stattfinden: schlechte Olivenöle, schlechte Schaumweine und Weine, minderwertige Fleischprodukte – um nur die offenkundigsten Fälle zu erwähnen.

Was ist die Konsequenz? Die hier geschilderten Kaufmotivationen sind wichtig, um die Entwicklung der Bio-Nachfrage zu verstehen. Aber sie sind nicht alles. Ein wesentliches die Kauf- und Ernährungstrends Element, welches die Steigerung der Nachfrage bestimmt, sind die praktischen Hintergründe: Auch die Bioangebote sollten sich den aktuellen Essgewohnheiten anpassen. Die Nachfrage nach verzehrfertigen Produkten, nach Single-Portionen, weltweite Lieblingsprodukte wie Burger, Süßkartoffel-Fritten und asiatische Nudel-Eintöpfe sparen auch die Ernährungswünsche junger Biokunden nicht aus. Und ja, die Entwicklung solcher Trends kann manchmal kurzlebiger sein als bislang gekannt: Wie lange ist Chia-Pudding noch in? Wie lange Porridge?

Ein sorgsames Auge verdient nach wie vor die Frage, welchen Anteil weibliches und welchen männliches Essverhalten hat, weil es noch immer vorwiegend Frauen sind, die in der Praxis für die Ernährung den Ton angeben.