Für etliche Gegenden sind Schlecker-Filialen oder kleine Discount-Märkte Nahversorger. Aber in anderen Gegenden fehlt selbst dies und dann wird Einkaufen ohne Auto ein Problem.  Die einzigen, die dazu bislang nie gefragt wurden, waren die Kunden. In Hessen geht die regionale Handelskette  tegut… hier einen neuen Weg wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

 Die touristischen Reize des 1300 Einwohner zählenden nordhessischen Gieselwerder an der mit seinen Fachwerkhäusern sind leicht zu schildern, nur Lebensmittel einkaufen – das geht hier nicht. Die nächste Einkaufsmöglichkeit liegt drei Kilometer entfernt, aber ohne für ältere Leute ist der Bundesstraßen-Discounter schon mal kaum zu erreichen. Der Bus fährt nur ein paar Mal am Tag: morgens zur Schule, nachmittags zurück.

In dieser Situation suchte der Ortsbeirat zusammen mit einem potentiellen Betreiber, der Baunataler Diakonie Kassel, einer von der Kirche getragenen Hilfsorganisation nach einer Lösung. Wenn eine solche Nachfrage konkret besteht ist tegut… gesprächsbereit . Am 8. Februar 2011 eröffnete in Gieselwerder das „Tegut Lädchen für alles“. Seitdem hat der Ort seinen ersten Mini-Supermarkt mit Bio-Schwerpunkt.

Zwölf solcher „Lädchen“ haben bisher in kleinen Gemeinden eröffnet, und wenn es nach Tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet geht, sollen bis Ende des Jahres nochmal so viele hinzukommen. „Wir glauben, dass es Regionen gibt, in denen der Handel wieder lernen muss, mit kleineren Flächen zu arbeiten“, sagt er. Das gelte vor allem für Orte mit weniger als 5000 Einwohnern. „Dort gibt es alle paar Kilometer vielleicht mal einen Discounter – aber keine Alternative für die Leute, die nicht mit dem Auto einkaufen können oder wollen. Denen fehlt die Versorgung. Da wollen wir ansetzen.“

Das Besondere an Gutberlets Konzept ist der Kooperationsgedanke. „Wenn das Konzept funktionieren soll, muss die ganze Gemeinde zustimmen.“ Das heißt: In Orten, für die ein „Lädchen“ interessant sein könnte, wird eine Bürgerversammlung einberufen und gefragt, ob die Bewohner sich vorstellen könnten, künftig dort einkaufen zu gehen.

Gutberlet erklärt: „Wir wollen das aggressive Expansionsverhalten, das dem Handel sonst immer zugeschrieben wird, umdrehen: Wir kommen nur, wenn wir gewünscht sind.“ Dann hilft der Bürgermeister vielleicht, einen leer stehenden Laden zu finden. Und es wird ein Betreiber gesucht, der sich um den Laden kümmert. Denn das macht Tegut nicht selbst.

In Gieselwerder hat diese Aufgabe die Diakonie übernommen, die sonst vor allem Wohnplätze und Arbeitsmöglichkeiten für behinderte Menschen anbietet. Dass sie auch mal Supermarktbetreiber werden würde, hätte dort bis dahin niemand gedacht. Für die Baunataler Diakonie Kassel ist das Projekt interessant: Inzwischen arbeiten im „Lädchen“ sechs Leute.

Warum klappt das jetzt, wenn der Lebensmittelhändler im Ort vorher schließen musste? „Unser Vorteil ist, dass wir ständig aufs komplette Sortiment von Tegut zugreifen können, aber die Waren nicht auf eigenes Risiko kaufen müssen“, sagt  der Betreiber. Die Arbeitsteilung funktioniert so, dass der Betreiber für Miete, Personal und Nebenkosten zuständig ist. Tegut bezahlt die Einrichtung und stellt die Waren zur Verfügung. Für verkaufte Produkte kriegt der Betreiber eine Provision. Der Rest wird zurückgenommen. Das mache den Betrieb einfach, weil nichts vorfinanziert werden musste. „Wir können öfter mal das Sortiment ändern ohne auf den Produkten sitzenzubleiben.“

Das neue System funktioniert wie ein Baukasten. Es gibt immer eine Ecke mit Bio-Backwaren und insgesamt 3000 Artikel aus dem Tegut-Sortiment zu kaufen, relativ viele Bio-Sachen. „Ganz wichtig ist: Die Produkte haben denselben Preis wie in unseren anderen Märkten, so haben die Leute nicht das Gefühl, abgezockt zu werden“, sagt Gutberlet. Im besten Fall stellt die örtliche Bank einen Geldautomaten auf, oder die Apotheke aus dem Nachbarort einen Kasten für den Rezepteeinwurf. In ganz kleinen Gemeinden kommt im Nebenraum vielleicht ein Arzt zur Sprechstunde vorbei.

Natürlich hat Tegut das Konzept nicht aus reiner Wohltätigkeit erfunden. Das Unternehmen will Geld verdienen: „Der Umsatz von fünf bis sechs ‚Lädchen‘ entspricht etwa dem einer normalen Filiale“, sagt Geschäftsführer Gutberlet. „Das Modell rechnet sich, wenn es über mehrere Jahre gut läuft. Aus unserer Sicht sind das langfristige Engagements.“