„Ein Herz für Bio“ sprach mit Jürg Knoll anlässlich seiner Erfolge beim deutschen Nachhaltigkeitspreis. Mehr als viele andere Bio-Labels ist followfish inzwischen zu einer echten Biomarke geworden. Ausschlaggebend ist dafür das Urteil der Verbraucher. Sie finden followfish vorbildlich für Nachhaltigkeit und nehmen dieser Marke diese Eigenschaft in besonderer Weise ab. Das ist die Markenqualität von followfish. Jürg Knoll gibt sich damit noch nicht zufrieden.

Ein Herz für Bio: Sie plädieren dafür, dass die Biobewegung große Marken braucht und sehen den sogenannten Fachhandel hier mit in der Verpflichtung. Was genau meinen Sie damit?

Jürg Knoll: Das Stichwort hier ist „Fachhandelsexklusivität“. Eine genauso alte wie höchst aktuelle Diskussion, die Bioproduzenten und der Bio-Fachhandel regelmäßig führen. Der Fachhandel möchte gerne, dass seine Lieferanten nur Produkte bzw. Marken liefern, welche es im sogenannten „konventionellen Lebensmittel Einzelhandel (LEH)“ nicht gibt. Diese „Forderung“ mag auf den ersten Blick verständlich sein, auf den zweiten Blick hilft sie aber weder dem Fachhandel noch der Sache.

Ein Herz für Bio: Was meinen Sie damit?

Jürg Knoll: Betrachtet man die Entwicklung des Lebensmittelhandels über die letzten Jahrzehnte, so kommt sowohl dem Einzelhandel, aber auch den Marken eine überragende Bedeutung zu. Der Einzelhandel differenziert sich vorwiegend über Service, Sortimentsbreite- und tiefe und damit über das Einkaufserlebnis. Marken sorgen für emotionale Welten, sichere Qualitäten und vor allem durch Innovationen. Letzteres ist der Knackpunkt: Um innovativ zu sein, benötigt eine Marke erhebliche finanzielle Mittel. Diese sind nur über ein gewisses Absatzvolumen erreichbar. Oder aber über eine Margenpolitik, welche Produkte unrealistisch verteuern. Den Preis hierfür bezahlt dann der Endkunde bzw. der Ladner, der den Artikel schlechter verkauft.

Ein Herz für Bio: Können Sie ein Beispiel nennen?

Jürg Knoll: Beispiele gibt es unzählige. Nehmen wir unser Projekt auf den Malediven. Hier haben wir aktiv mitgeholfen, eine ganze Fischerei zu zertifizieren. Mit erheblichem personellem und auch finanziellem Aufwand. Würden wir nun diesen zertifizierten Thunfisch ausschließlich im Bio-Fachhandel verkaufen, müssten wir diesen Thunfisch so teuer machen, dass er sich nie und nimmer verkaufen würde. Selbst eine „zwei-Marken-Lösung“ (wie sie ja teilweise vom Fachhandel gefordert wird) würde hier nicht helfen. Der Grund liegt in dem Wort „Marke“ begründet. Man muss verstehen, dass eine Verpackung noch lange keine Marke ist. Die schönste Definition der Marke ist „the consumers idea of a product“. Also eine Marke ist erst dann eine Marke, wenn der Kunde sie als solche wahrnimmt. Und nur wenn wir das schaffen, können wir auch Produkte absetzen, welche teurer sind als vergleichbare, aber ethisch weniger „korrekte“ Produkte. Würde man also in dem zitierten Beispiel eine „zwei Marken Strategie“ fahren, müsste man die „zweite“ Marke zu einer Marke machen, z.B. durch Innovationen, aber auch durch Kommunikation, also Werbung, um den Artikel überhaupt zu vermarkten. Das Ergebnis: Die „Zweitmarke“ wird zur Marke, womit wir wieder eine Situation haben, welche schlecht für den Bio-Fachhandel ist.

 Aber wenn wir schon dabei sind, es gibt noch mehr Argumente, welche gegen „Fachhandels-Exklusive“ Produkte sprechen, zumindest wenn man sich die Brille von Bio-Produzenten anzieht, und oder unterstellt, dass eine allgemeine Ausweitung von Bioprodukten von allen gewollt ist.

Ein Herz für Bio: Welche sind das?

Wenn die „Biobewegung“ einen Anspruch hat, so weiter zu wachsen, dass Bioqualität Standard wird, dann brauchen wir große und erfolgreiche „Biomarken“. Ich habe das vorher schon angedeutet, allerdings mehr unter dem Gesichtspunkt der Innovationskraft der Marke. Die ganz große, ja fast globale Wirkung einer Marke entfaltet sich dann, wenn eine Marke groß genug ist, Werbedruck aufzubauen. Große Biomarken können entscheidend dazu beitragen, das Image von Bio positiv zu bewegen. Sie durchbrechen das Muster der gespaltenen Gesellschaft, in der „Bio“ eine Randerscheinung ohne wirtschaftlich große Lobby ist. Wir sind zu 100 % davon überzeugt, dass „Bio“ die nachhaltigste Art und Weise ist, Lebensmittel zu erzeugen. Genauso überzeugt sind wir, dass ein großer Teil der kaufkräftigen Bevölkerungsschicht intelligent genug ist, dem zuzustimmen. Große Biomarken können das Mittel dazu sein, die Brücke von guten Produkten für eine neue Käuferschicht darzustellen. Eine Käuferschicht, welche klassische „Markenkäufer“ sind und welche es gilt, mit allen Mitteln moderner Kommunikation, zum besten Produkt zu bewegen. Es kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, dass das einen positiven Effekt auch und gerade für den Bio Fachhandel hätte.

Ein Herz für Bio: Das könnte in den Augen mancher Biovertreter die Gefahr bergen, dass Konzerne dann das Biogeschäft übernehmen.

Antwort: Das sehe ich überhaupt nicht. Eine Biomarke muss nämlich völlig anders geführt werden. Kunden einer Biomarke fordern Transparenz, Konsequenz und völlige Integrität des Markenführers ein, wir wissen das aus unserem eigenen Geschäft. Im Gegensatz zu einer „konventionellen“ Marke ist eine Biomarke nämlich vor allem ethisch aufgeladen. Die Kundschaft ist bereit, für dieses ethische Engagement zu bezahlen, hinterfragt die Marke aber laufend und begleitet sie sehr kritisch. Das ist ja das visionäre und schöne an der Idee von Biomarken. Sie sind vollkommen anders, verlangen nach neuen Strukturen und handelnden Personen. Sie sind transparent und demokratisch und zeichnen sich durch maximales Verantwortungsbewusstsein des dahinterstehenden Unternehmens aus. Aber gerade aufgrund dieser schwierigen Grundvoraussetzungen und dem reinen Kern haben sie das Potential, so kräftig und marktgestaltend zu sein.

Im Übrigen können wir doch alle aus der Vergangenheit und der heutigen Marktsituation ablesen, dass es überhaupt kein Problem ist, wenn Produkte in verschiedenen Formaten gehandelt werden. Wir müssen hier nur auf den konventionellen Handel schauen. Statt den Herstellern hier „Fesseln“ anzulegen sollte – aus meiner persönlichen Sicht – der Bio-Fachhandel deutlich selbstbewusster werden. Die Differenzierung macht das Konzept und die Breite des Sortiments, nicht einzelne „Exklusivprodukte“.

Ein Herz für Bio: Können Sie das erklären? Was soll der Bio-Fachhandel vom konventionellen Handel lernen können?

Mit Selbstbewusstsein meine ich, dass sich der Bio-Fachhandel im Klaren darüber werden muss, warum seine Kunden bei ihm einkaufen. Wer denkt, dass sie nur bei ihm einkaufen, weil er teilweise „exklusive“ Produkte hat, liegt aus meiner Sicht daneben. Und er unterschätzt die Stärken des Fachhandels fatal. So wie es für eine Edeka oder REWE kein größeres Problem ist, dass Lidl, Kaufland oder jetzt sogar Aldi Markenprodukte führen, so wird das auch dem Erfolg des Biofachhandels keinen Abbruch tun, wenn es einzelne Überschneidungen in (für den LEH Rand-) Sortimenten gibt. Die Stärken eines Vollsortimenters kann der Bio-Fachhandel um Weiten übertreffen. Sie liegen in dem Einkaufserlebnis. Darin, dass ich im Bio-Fachhandel eine unglaubliche Produktbreite- und tiefe habe. In der Beratung vor Ort, ja auch in der Seelenverwandtschaft der Marktbetreiber mit seinen Konsumenten. Ich verstehe überhaupt nicht, warum der Fachhandel sich hier teilweise so ängstlich gibt. Ich persönlich nutze sowohl einen klassischen LEH als auch einen tollen Bio-Supermarkt als Einkaufsstätte, wobei ich öfter und lieber in den Fachhandel gehe. Das nicht, weil ich dort Marken bekomme, die es im LEH nicht gibt. Sondern weil ich dort ein unglaublich tiefes und komplettes Sortiment an tollen Artikeln finde und – egal wo ich hingreife – einen Bioartikel bekomme. Der klassische LEH möchte doch diese Breite überhaupt nicht, sonst würde er sie bekommen. Bio ist dort zwar in einem gewissen Rahmen vertreten, hat aber den Stellenwert eines absoluten Randproduktes. Das ist so gewollt.

Und auch sollten wir die Gefahren nicht vergessen, welche Fachhandelsexklusive Marken mit sich bringen. Stichwort: Preisgestaltung. Eine Marke welche faktisch eine monopolähnliche Stellung hat ist relativ frei in der Preisgestaltung. Auf Dauer kann das dazu führen, dass der Bio-Fachhandel eine „geschlossene“ Gesellschaft mit hohen Preisen wird. Das mag überspitzt dargestellt sein, das Argument ist aber nicht von der Hand zu weisen. Eine andere Gefahr mag größer sein: Schon heute gibt es Untersuchungen, dass sich „Bio“ im LEH nicht so entwickelt wie erhofft. Die Öffentlichkeit scheint dazu zu neigen, als Ursache hierfür die schwächelnde „Bio-Bewegung“ auszumachen. Kurzfristig mach sich der Biofachhandel an solchen Zahlen erfreuen, langfristig profitiert aber auch und gerade der Fachhandel davon, dass es eine gesellschaftliche „Aufbruchstimmung“ hin zu mehr Bio gibt. Aus meiner Sicht hat auch „Bio“ im Discount dem Fachhandel mehr geholfen als geschadet. Nicht nur, dass er Bioproduzenten hilft, sondern Bio und Discount helfen massiv, die öffentliche Wahrnehmung zugunsten von Bio zu beeinflussen. Oder noch deutlicher gesagt: Überspitzt gesagt ist Bio nur im Fachhandel ist langfristig zum Scheitern verurteilt.  

Ein Herz für Bio: Ist das nicht etwas extrem dargestellt?

Antwort: Klar, das ist überspitzt, aber wahr! Schauen Sie einmal, was für Kunden in einem typischen Bioladen einkaufen. Das sind gut gebildete Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Die kaufen heute bei Basic ein und morgen im Edeka. Die Konsumenten kennen dieses „Zwei-Klassen-Denken“ doch überhaupt nicht. Die haben ein Grundvertrauen zu beiden Formaten. Stellen Sie sich einmal vor, eines ihrer „vertrauten“ Formate setzt langfristig nicht mehr auf Bio (sondern womöglich auf Regionalität oder was auch immer). Nicht alle Kunden fühlen sich dann in ihrer „Bio-Entscheidung“ bestärkt. Man muss eher von einer wachsenden Verunsicherung des zitierten Kunden ausgehen. Bio braucht einen noch viel größeren Nährboden. Solange es aus Sicht vom Handel, der Industrie und damit auch der Presse eine „Randbewegung“ ist erreichen wir nicht das, was wir wollen! Bio braucht verbündete, und der klassische LEH ist hier sicher eine gute Wahl.

Und last but not least muss man sich fragen, was denn die Alternative wäre, wenn sich starke Biomarken entwickeln, welche NUR im klassischen LEH vertreten sind. Der Fachhandel verliert eventuell Kundschaft, vor allem aber Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Denn dass eine starke Biomarke der „Sache“ hilft, scheint außer Frage zu stehen. Man denke nur an die Möglichkeiten von nationalen Marken allein im Bereich der Werbung. Bio wächst seit Jahren, obwohl es praktisch keine Endverbraucherwerbung gibt. Erste, national starke Biomarken würden durch einen entsprechenden Werbedruck eine Nachfragespirale ins Leben rufen, welche der gesamten Branche nutzt. Inklusive dem gesamten Fachhandel, das steht aus meiner Sicht außer Frage.

So gilt es für den Fachhandel, den Realitäten ins Auge zu sehen. Wir selber haben gute Erfahrungen gemacht und erleben den Fachhandel als sehr proaktiv. Trotzdem dürfen wir nicht müde werden, diese Fragen zu thematisieren und uns damit auseinanderzusetzen. Letztlich geht es nämlich – wie oft im Leben – nicht um die perfekte Lösung für den Fachhandel, sondern um eine Abwägung. Der Abwägung zwischen der Tatsache, nicht alle Produkte exklusiv im Fachhandel führen zu können, und den Vorteilen, welche die Entwicklung starker Biomarken für alle Beteiligten bringt. Oder anders gesagt: Ich traue es dem Fachhandel deutlich zu, sich dem Wettbewerb am Markt zu stellen. Sein Erfolg war nie das Ergebnis von unnatürlichen Eingriffen in den Markt. Der Erfolg des Bio-Fachhandels sind starke Konzepte und tolle Läden. Es ist das Verständnis über Ihre Kunden und die Fähigkeit, deren Bedürfnisse zu befriedigen.  Man möchte hier den Ladnern zurufen, mehr an ihre Stärken zu glauben und die eigene Angst vor den „Großen“  ein für allemal abzulegen.