Ein Zwischenruf aus der Redaktion zur Biosituation in Deutschland
Für jemanden wie mich, der die Bioentwicklung seit nun etwa fünfzig Jahren am eigenen Leibe verfolgt ist die Bio-Entwicklung der letzten Jahre etwas wirklich Gutes. Bio-Ziele in Form von 25 – 30% Bioanbau und ein Konsum von 10% Bioprodukten rücken in Europa in greifbare Nähe. Zwischendurch war man sich nicht so sicher. Bio ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber mit welcher Zielvorstellung?
Der erste Impuls für Bio war der Verzicht auf Umweltgifte – für die Menschen – für die Tiere und für die gesamte Natur. Heute kommt eine zusätzliche Dimension hinzu: die Klimarettung, der bessere Umgang mit knappen Ressourcen. Gesellschaften mit zu hohem Energieverbrauch müssen umschichten: Weg von den fossilen Energien, hin zu mehr pflanzliche Produkte in der Ernährung. Zu einem Teil kann man ahnen, dass diese Entwicklung automatisch kommt. Alle Gesellschaften außerhalb der typischen westlichen Industrieländer sitzen in zwischen bei der Verteilung von Energie und Proteinen längst in der Weltgemeinschaft mit am Tisch.
Was das für die Bioentwicklung bedeutet? Ganz einfach – sie muss ihren klimafreundlichen Beitrag unter Beweis stellen. Eine der möglichen Leistungen aus dem Bio-Arsenal fehlt immer noch: der umfassende und glaubwürdige Nachweis, dass pflanzliche Ernährung nicht nur gut, sondern auch lecker und aus sich heraus anstrebenswert ist. Und da wir in einer Zeit leben, in der die Menschen – anders als früher – derlei Prozesse selbst mitgestalten wollen, wird eben hier auch ein bewusster Beitrag verlangt: Pflanzenfood, dass so lecker ist, dass es in der Attraktivität mit einem „goldenen Steak“ aufnehmen kann.
In früheren Jahrhunderten vollzogen sich Ernährungsanpassungen aufgrund von Klimaverschiebungen mindestens genauso tiefgreifend, aber ohne die vorauseilende Mitwirkung der Betroffenen, weil die nicht gefragt wurden und selbst den Eliten dafür die übergreifende Einsicht fehlte. Nehmen wir etwa die kleine Eiszeit im ausgehenden Mittelalter, von der Nord- und Mitteleuropa betroffen waren. Den Einbruch dieser Kälte kann man anschaulich in den „Wimmelbildern“ der Breughels mit winterlichen Impressionen bewundern. Da hieß im Klartext für bestimmte Handwerker, dass es für die Energie zu schwerer Arbeit nicht Wein als Stimulanz gab, sondern später Bier und Gebranntes. Aufgrund der in den Süden vorgerückten Kälte verschoben sich Ackerbau und Viehwirtschaft. Nichts anderes erwartet uns heute für die Erreichung der Klimaziele. Nur dass wir heute den Anspruch erheben, diesen Prozess besser selbst und bewusst mitgestalten zu wollen.
Und um nun hier wieder den Bogen zu schlagen: Wenn Bio nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dann sollten die Biobeiträge sich auch darum bemühen, möglichst viele in dieser Gesellschaft mitzunehmen,um einen erkennbaren Beitrag für das Klima zu erreichen.
Was das wäre? In erster Linie der Erweis, dass saubere und klimafreundliche Produkte für einen breiten Allgemeingeschmack lecker und erstrebenswert werden. Da gibt es noch viel Luft nach oben. All das, was fürs Klima gut ist und pflanzliche Proteine bietet muss mindestens so lecker sein wie vergleichbare tierische sabine.ersing@fibl.org Produkte. Das ist am En de ähnlich wie bei Verkehrsmitteln mit weniger CO 2 – Ausstoss. Die Alternative muss so attraktiv sein, dass sie überzeugt – und in diesem Fall bei Lebensmitteln durch Convenience und Geschmack. Das wäre für mich ein guter aktueller Bio-Beitrag zur Ernährung.
Dr. Klaus-Jürgen Holstein