Der anstehende größte Bio-Branchentreff will gerade zu seinem stolzen Jubiläum nicht die Vergangenheit feiern, sondern aktuelle Trends und die Zukunft der Bioentwicklung aufspüren. Ein guter Anlass, um im Interview mit der Autorin des Consumer Value Monitor Food, Dr. Mirjam Hauser, Gottlieb Duttweiler Institute, Rüschlikon/ Zürich (CH), einen Blick in die Zukunft des Lebensmitteleinkaufs und die Werte der Konsumenten zu wagen.

Frau Dr. Hauser, im Consumer Value Monitor Food richten Sie den Blick auf Werte, die unsere Kaufentscheidung bei Lebensmitteln beeinflussen. Welche zentralen Werte sind das heute?

Dr. Hauser: Interessant ist, dass es nicht nur ein oder zwei zentrale Werte gibt, sondern eine ganze Hand voll. Die naheliegendsten sind Auswahl und Qualität der Produkte. Und Convenience – alles einfach und praktisch erhalten zu können. Auch wichtig: Gesundheit. Und das Thema Nachhaltigkeit ist natürlich längst angekommen und wird sich in Zukunft nochmals verstärken. Drei große Wertefelder kommen hinzu: erstens „gemütlich und vertraut“, zweitens „ursprungsnah“ und drittens „viel Zeit investieren“. Hier ist das Dilemma, dass die Konsumenten nicht wissen, wie sie sich all diese Wünsche gleichzeitig erfüllen können. Im Alltag ist das kaum noch möglich. Wir sind alle ständig unterwegs, arbeiten viel. Und so bleibt keine Zeit, das Essen vorzubereiten. Man versucht Abläufe zu optimieren, isst schnell etwas unterwegs. Am Wochenende und in der Freizeit versucht man das zu kompensieren und in Gemeinschaft zu essen. Die soziale Komponente ist sehr wichtig.

Und welche Werteräume, Sehnsüchte und Realitäten werden unseren Einkauf in Zukunft beeinflussen? Gibt es auffällige Veränderungen?

Dr. Hauser: Es gibt ein neues, spannendes Thema, das uns aufgefallen ist, und zwar „bewährt“ und „unbeschwert“ essen zu können. Eng verknüpft ist das mit dem Wert „Ursprünglichkeit“. Die Menschen möchten vor allem unbeschwert essen. Sie wollen in einen Laden hineingehen und Lebensmittel einfach einkaufen, ohne darüber nachzudenken ob das in der Summe eine „gute“ Ernährung ist. Es geht hier also um die Reduktion der Komplexität.

Welche Rolle spielen Regionalität, Bio und Fairer Handel?

Dr. Hauser: Sie bilden ein ganz wichtiges Wertefeld und Nachhaltigkeit ist das sie umspannende Thema. Alle drei Bereiche haben Potenzial von dieser positiven Werthaltung zu profitieren. Kritisch ist es dann, wenn Vertrauen enttäuscht wird. Zum Beispiel haben Fälle von Greenwashing Negativeffekte, oder auch, wenn Regionalität Bio kannibalisiert.

Heißt das im Wertefeld aus „ursprungsnah“, „gemütlich“ und „vertraut“ ist Regionalität wichtiger als Bio?

Dr. Hauser: Interessanterweise nicht. Bio, Regionalität, Fair Trade und Slow Food sind in der Wahrnehmung der von uns Befragten so gut wie deckungsgleich. Sie decken alle positiven Wertefelder ab. Letztlich kann der Konsument aber nicht einschätzen, ob die regionale konventionelle oder die Bio-Tomate aus Spanien „besser“ ist. Auch da geht es wieder um Komplexitätsreduktion.

Wer sind eher Gewinner, wer eher die Verlierer unter den Einkaufskanälen und Produktgruppen?

Dr. Hauser: Aus der Sicht der Konsumenten haben Discounter und Supermärkte den Höhepunkt bereits erreicht. Wochenmärkte, Bioläden und der Lebensmittel-Fachhandel können von den aktuellen Werthaltungen mehr profitieren. Dabei ist der Retro-Gedanke wichtig. Die Menschen schätzen das vertraute Gefühl aus früheren Zeiten, als zum Beispiel der Metzger erklären konnte, wo das Fleisch herkommt und wie es zubereitet werden kann. Man möchte wieder näher an den Ursprung zurück. Das heißt aber auch: Traditionelle Absatzkanäle müssen in die modernen hineininterpretiert werden. Das alles gilt sowohl für den Handel als auch für die Produkte. Man sieht heute schon, dass Supermärkte versuchen, diesen Trend aufzugreifen. Spar Österreich beispielsweise mit seiner Markthallen-atmosphäre oder das Konzept von Eataly in Italien.

Welche Angebote werden in Zukunft von den Konsumsehnsüchten profitieren?

Dr. Hauser: Es werden sich ganz viele neue Konzepte entwickeln. Wie zum Beispiel spezielle Liefer-Abos. Händler sollten sich nicht nur an den Laden klammern. Gefragt sind mobile Direktvertriebskonzepte. Kleine Läden – die Tante-Emma-Läden von früher, aber modern interpretiert – sind wieder im Kommen. Diese sollten heute auch Convenience anbieten. Es ist erfolgsversprechend, Quartierstrukturen zu nutzen, wenn man mit innovativen Läden an den Start geht. Es wird auch vermehrt Konzepte geben, die Essen anbieten, das man fix und fertig mitnehmen oder zuhause noch fertig zubereiten und kochen kann.

Wo kaufen Kunden in Zukunft Bio-Lebensmittel ein?

Dr. Hauser: Da, wo sie auch sonst Lebensmittel kaufen. Ich glaube, die Denkhürden, bei den Handelskonzepten Unterschiede zu machen zwischen Bio und konventionellen Lebensmitteln, die sind überwunden. In Zukunft werden wir die unterschiedlichsten Kanäle nutzen. Denn letztlich profitieren ja alle davon, wenn Bio mehr Fläche und damit mehr Absatzchancen zugestanden wird.

Was können Hersteller und Handel in der Bio-Branche aus Ihren Erkenntnissen lernen?

Dr. Hauser: Im Wertefeld Bio, Regionalität und Fair Trade möchte ich hier zwei Faktoren herausgreifen: Zum einen kann und muss man direkt mit dem Kunden in Kontakt treten und kurze Wertschöpfungsketten aufzeigen. Der Händler muss erklären können, wie Produkte entstanden sind, welche ökologischen und sozialen Komponenten mit hineinspielen. Das ist ein Vorteil der Bio-Produkte und den kann man in Zukunft noch verstärkt spielen. Das andere ist: Das Vertrauen der Konsumenten in Bio-, Regio- und Fair Trade-Lebensmittel ist heute noch sehr hoch. Aber man sollte (Kauf-)Entscheidungen unbedingt vereinfachen. Konsumenten wollen eine unkomplizierte Wahl treffen. Komplexitätsreduktion ist absolut wichtig. Der Kunde will das Gefühl haben: „Hier kannst Du uns vertrauen. Wir bürgen für die Lebensmittel in diesem Regal!“

 Sie sagen: „Das Richtige zu tun, auch bezüglich Konsum, ist zunehmend zu einem persönlichen und gesellschaftlichen Imperativ geworden.“ Was bedeutet das beim Thema Lebensmittel?

Dr. Hauser: Essen ist schon heute ein Statussymbol. Dieser Druck bleibt bestehen. Wichtig wird in Zukunft nicht nur, was man isst, sondern wie und auch wo man isst. Dieser Faktor wird sich eher noch verstärken. Aber auch wenn Essen ein Statussymbol ist, hat zum Beispiel Bio deswegen nichts Elitäres. Das könnte die Branche noch viel stärker kommunizieren. Ja, Bio ist teurer, aber Bio-Produkte haben auch einen Mehrwert. Dafür dürfen sie auch etwas mehr kosten. Man muss das aber erklären können und klar sagen, warum es den Preis wert ist.