Die Frage darf man sich wirklich stellen. Und die Informationen, die man dazu erreicht sind widersprüchlich. Auf der einen Seite kündigt Lidl an, eine bislang eigens gepflegte Biomarke jetzt nur noch in das normale Sortiment einzureihen, ALDI und Norma erhöhen die Schlagzahl ihrer Bioaktionen – beider aber auch ganz klar vor allem mit veganen Bioprodukten. Es macht deutlich den Eindruck, als ob Bio-Qualität alleine – zumindest für etliche Marktteilnehmer nicht mehr das alleinige Zugpferd sei.

Auf der anderen Seite eine gegenläufige Entwicklung bei den Bio-Eigenmarken. Alnatura und Dennree rücken in der Markenbeliebtheit zwischen die großen Lebensmittel-Handelsketten in Deutschland. Und nicht nur dass Bio-Supermärkte modernern Stils in den Gunsten der Verbraucher gewaltig gestiegen sind: Drogeriemärkte wie dm Drogeriemarkt, Rossmann und Müller wissen inzwischen, dass mit den eigenen Bioanteilen und ihrer Nahversorgerqualität wesentliche Teile dieses Marktes machen.

 Das Thema Bio ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer weniger das Dachthema: Unternehmen wie Regional, Vegan, Glutenfrei, Gentechnikfrei und selbst Fair erscheinen profilierter

Das ist eine Entwicklung, die zeichnete sich schon lange ab. Der Biomarkt lebt immer mehr von solchen Unterthemen. Das ist zum einen ein Zug der Zeit. Tribut an die Tatsache, dass es immer wieder etwas Neues geben muss. Tribut auch an die Tatsache, dass die Öffentlichkeit nach einfachen, schnell kommunizierbaren Themen sucht. Zum anderen ist es auch die Schwäche der Bioplayer, denen es in den letzten Jahren trotz kräftigem Aufwind nicht gelungen ist, ihre Themen wirklich gut und verständlich in der Öffentlichkeit zu platzieren. Das geht lieber jeder seinen eigenen Weg und vor allen Dingen: unterm Strich wird am Dialog mit der breiten Öffentlichkeit gespart. Und das ist die falsche Stelle. So wundert man sich dann, dass Spiegel, Stern und TV-Marktchecks Biothemen nach Belieben im Sensationsbereich spielen, aber zu substanzieller Aufklärung wenig beitragen. Stattdessen wird von den meisten Bioherstellern das wenige für Kommunikation vorhandene Geld für sinnlose Bio-Insider-Tätigkeit verplempert und die breite Öffentlichkeit nicht erreicht.

Die wachsende Skepsis der Verbraucher wurde von der Biobranche leider nicht ernst genug genommen

Erinnern wir uns an die kurze Geschichte dieser Branche in der Öffentlichkeit. Der Bio-Boom im Lebensmitteleinzelhandel war vor 12 Jahren etwa auch dadurch geprägt, dass der Umsatzanteil von Bioeiern an der Kategorie bereits eine bemerkenswerte Größe erreichte. Skandale, Fleischskandale machten den Biozulauf groß und größer. Doch seit rund fünf Jahren mussten wir uns daran gewöhnen, dass neue Skandale auch Bioskandale waren. Hier Bio-Oktoberfesthähnchen, die gar kein Bio waren, dort immer häufiger ukrainische Futterzusätze, die mal Bio-Eier mal Bio-Hähnchen betrafen. Am Anfang kam das Bio-Vorzeichen dieser Vorgänge kaum in der Öffentlichkeit an – heute ist sich nahezu jeder dessen bewusst. Die wirklich guten Antworten darauf fehlen.

Die Bio-Branche hat sich selbst ein Thema indirekt ein ungelöstes Thema geschaffen: Was macht die Qualität und Sicherheit von Bioprodukten?

Da gibt es zweifellos auch Antworten, die funktionieren, die aber äußerst fragwürdig sind. Etwa die regionale Antwort, nach dem Motto: Meinem Nachbarn kann ich ja wohl vertrauen, besonders bei Bio. Das sollten wir angesichts von Skandalen – auch in der Nachbarschaft – lieber nicht weiter kommentieren.

Alle zu simplen Antworten an Verbraucher rächen sich, weil man grundsätzlich nicht den Fehler begehen sollte, Konsumenten zu unterschätzen. Allgemeine Hinweise von vermeintlich guten oder schlechten Herkünften von Produkten halten immer bis zur gegenteiligen Erkenntnis. Pauschalisiert „schlechte“ Herkunftsländer sind keine Antwort.

Gute Bioprodukte müssen halt Verbraucher überzeugen – mit Geschmack, Mehrwert, überzeugendem Konzept als Lebensmittel, mit einer Produkt- und Herkunftsgeschichte. Es ist hart: Aber das pure Label „Bioqualität“ macht noch keine Existenzberechtigung für eine Marke oder ein Lebensmittel.

Der Wert für eine gesunde und sinnvolle Ernährung wird zum Maßstab für den Sinn von Bioprodukten

Unnötiges Fett, Übermengen Süßes, Kopien von schlechten Lebensmitteln haben nach Ansicht der meisten Verbraucher unter einem Bioangebot nichts zu sehen. Trends wie vegan, vegetarisch, leicht, glutenfrei markieren die Felder, auf denen Verbraucher heute unterwegs sind und wo sie dann auch auf Bioqualität stoßen.

Und noch etwas: Wir können es schwer beschreiben, kaum mit wirklichen Zahlen beweisen, aber wir sehen. Der Typ der Bioverwender hat sich geändert. Bio-Lebensmittel sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ihre Verwender sind deutlich jünger aber auch in einem neuen Stil ernährungs- und gesundheitsbewußter geworden. Schlankheit, Fitness und körperliches Wohlbefinden leiten den Konsum. Genuss als Prägung ist out. Mogelpackungen und Gesundheitsschummeleien sind out. Purer gesinnungsgetriebener Biokonsum ist auf dem ansteigenden Ast. Da schaue man sich nur die neuesten Märkte von Alnatura und Dennree an und man erkennt sofort, welche Produkte hier präsentiert werden und welche Art von Kunden man hier trifft.

Mit der Entwicklung der modernen Biokunden tut sich der Lebensmitteleinzelhandel noch relativ schwer

Mit dem Thema Zielgruppenbedienung tun sich gerade die kleineren Supermärkte von Haus aus schwer. Das merkt man ja schon daran, dass dort die Zielgruppen-Themen wie junge Familie, Baby, Kleinkind und so selten wirklich gut arbeiten. Auf Schüler in der Pause und ältere Genusskunden ist der normale Supermarkt besser eingestellt. Da ist Umdenken gefragt.

Früher hat m an es ja auch einmal geschafft, sich mit den Diätsortimenten alter Prägung auf Zuckerkranke einzustellen. Heute sind eher moderne Gesundsortimente gefragt, die auch ein Reformhaus alter Prägung nur schwer an die Leute bringt. Sehr gut gelingt dies freilich in den modernen Drogeriemärkten. Hier wird längst ein sehr großer Anteil solcher Lebensmittel umgesetzt, weil halt dieser Typ Markt perfekt zu der hier besprochenen Zielgruppe passt.

Aus der schon eingangs zitierten Markenanalyse kann man drei Parameter nehmen, die für Bioprodukte entscheidend sind: Qualität, Vertrauen, Gesundheit. Das sind ganz offenbar die Essentials für jedes gute Bioprodukt.  Die typisch deutsche Crux ist dabei, dass Verbraucher trotz dieser Anforderungen letztlich nicht bereit sind, dafür wesentlich mehr zu zahlen und alle anderen traditionellen Markenwerte von Bekanntheit oder Innovationskraft spielen da eine untergeordnete Rolle.

Bei Bioprodukten versteht der Verbraucher ihre inneren Werte an Qualität, Vertrauen, Gesundheitswert nicht ohne Unterstützung in Kommunikation

Das ist das große Missverständnis, dass viele immer noch glauben, es reiche, wenn man dem Verbraucher ein halbwegs nett aussehendes Produkt zu einem günstigen Preis in die Märkte stellt.

 

 

Natürlich müssen die Hintergründe für die Glaubwürdigkeit der genannten Werte auch im Produkt angelegt sein: Herkunft der Rohwaren, Verarbeitung, Rezeptur und Zusammensetzung. Das alles muss eben auch wirklich und glaubhaft solchen Kriterien entsprechen. Aber dann müssen es die Verbraucher auch erfahren und zwar so, dass sie es auch aufnehmen und verstehen. Ja und da geht dann allen Beteiligten die Fantasie und die Puste aus. Sind Verkostungen nur eine Bringschuld der Hersteller und Vertreiber? Was kann man tun, um zu zeigen, dass vegane Produkte wie etwa Tofu oder glutenfreie Produkte eigentlich für alle Kunden eine Option wäre? Für die einen für ab und zu, weils gut schmeckt und für die anderen halt, weil sie nicht anderes vertragen oder sich strikt so ernähren wollen. Wie gesagt, das alles passiert nicht ohne Engagement, Ausprobieren, Verkosten, Erklären und da sind alle Beteiligten gefragt.

Nicht nur nach den Festtagen und zum Jahreswechsel verstehen die meisten Menschen unter guter Ernährung heute auch eine Ernährung, die schlank erhält.

Eine aktuelle Studie aus dem Hause Nielsen sagt, dass inzwischen jeder zweite Deutsche und das ist ein Trend, der sich fast auf alle Länder ausdehnen lässt, schlanker werden möchte. Die Strategien dazu sind in allen industrialisierten Weltregionen ähnlich: Weniger Fett, weniger Süßes, kleinere Portionen essen.

Wir können davon ausgehen, dass gerade unter den Bioverwendern wie unter Anhängern von veganer, glutenfreier und bewußterer Ernährung sich besonders viele Verbraucher befinden, die ähnlich denken. Das Augenmerk der Verbraucher wird durch immer genauere Inhaltsdeklarationen der Lebensmittel zusätzlich immer stärker auf diesen Punkt gelenkt. Und genau dieser Punkt macht ebenfalls Aufklärung nötig: Denn nicht jedes Fett und nicht jede Süße ist gleich gut oder schlecht.

Dr. Klaus-Jürgen Holstein