Es gab nach 1970 eine Anfangszeit mit Bioprodukten, da hätte niemand es für nötig gehalten, über ein Thema wie Biomarketing nachzudenken. Es gab Gesinnungstäter und Landwirte, die versuchten, ihre Produkte ohne Chemie und künstliche Zusätze zu erzeugen. Und es gab Konsumenten ähnlicher Gesinnung, die bereit waren, solche Produkte zu kaufen und zu essen. Dazwischen Geheimtipps von kleinen Körnerlädchen, Hofläden und Marktständen, die diese Produkte verkauften. Ein kleiner Markt, der in der Nische sich selbst genug war und daher glaubte, keine Fragen stellen zu müssen.

Hinzu kam, die etwa zur parallel Zeit entwickelten wissenschaftlichen Ansätze zum Thema Marketing, hauptsächlich vertreten durch Heribert Meffert, eher einen typisch instrumentellen Ansatz aus der Betriebswirtschaftslehre atmeten. Kern der Sache ist der gezielte Einsatz des Marketing-Mix aus Produkt, Preis, Kommunikation und Distribution, eine Vorstellung, die Gesinnungstätern hinter Bioprodukten natürlich völlig fremd sein muss. Das Naturprodukt entsteht, wie die Natur es ohne Chemie wachsen lässt. Der Preis sind die Einnahmen, die der Erzeuger für diese Mühen benötigt. Die Kommunikation heißt allenfalls noch Erklärungen zum Produkt abzugeben und Distribution heißt schlicht, dass man diese Nachfrage, denen, die aus ähnlicher Gesinnung nachfragen gegen Geld abgibt. Das wars.

Inzwischen haben sich allerdings die Parameter gründlich gewandelt. In den westlichen Industrieländern ist Bio ein Faktor von etwa 5 % der Lebensmittelwirtschaft geworden Und auch die Idee des Marketing steht durch die wesentlich empirischer angereicherte Aufbereitung der Grundlagen durch die bahnbrechenden Arbeiten von Werner Pepels in einem veränderten Licht da. In einem Spezialbereich wie Biomarketing kann es kaum die Aufgabe sein, sich auch noch vertieft an Theorie-Diskussion über Marketing zu beteiligen. Eher kommt es darauf an, diese Nische des Lebensmittelbereichs mit den Sichtweise modernen Marketing zu durchleuchten und somit bei der Anwendung behilflich zu sein.

Wie steht es denn mit Biomarken?

Ja, unter den Pionieren der Biobewegung gibt es natürlich Vertreter, die Ihr Basisangebot für Bioprodukte – selten selbst hergestellt – mit einem Markennamen versahen wie Rapunzel, Alnatura, Rinatura, Davert, Biozentrale,Lebensbaum, Byodo, um nur einige zu nennen. Was man damit erreichte? Bekanntheit in der Nische. Eine Markendefinition  à la Hans Domitzlaff, der da eher an die klassischen Marken vom Zuschnitt wie Nivea oder Persil dachte, hat es im Biobereich schwer. Dank viel zu geringer Kommunikationsaufwendungen, kann man in Deutschland von einer allgemeinen Markenbekanntheit kaum sprechen. Und da auch viele derer, die für sich eine Biomarke beanspruchen, auch selbst nur sehr bedingt Hersteller sind, steht es auch manchmal sehr schwer mit der Überlegung, worin ihr Plus an Markenqualität bestehen soll, beziehen sie ihre Ware doch aus den Herstellbetrieben, aus denen halt alles kommt.

Betrachten wir das Thema Biomarke mal etwa moderner und einfach aus der Beobachtung.

Dann machen wir einmal keinen Unterschied mehr zwischen Marke und Handelmarke. Und reden wir dann nicht von klassischer Markenwerbung, sondern von dem Markenangebot, von denen das Netz spricht. Für die aktuelle Situation ist das Netz durchaus ein Markenmacher. Die Allgegenwart der alten Markenwelt ist heute das Internet und da finden wir dann etliche breit aufgestellte Bioanbieter wieder, allen voran heute Veganz, Alnatura, dm-Bio. Marken von denen man spricht.

Gerade auch zeitgeistbezogene Marken wie Veganz oder Naturgut, bei denen gar nicht einmal 100% Bio im Vordergrund stehen, schneiden in diesem Zusammenhang gut ab. Das liegt übrigens auch daran, dass der Glanz der reinen Auslobung „Bio“ ziemlich angeschlagen und verblasst ist – ein Phänomen, über das man sich auch einmal Gedanken machen sollte. Bio ist wahrlich gefragt, aber die Umsetzung bleibt weit unterhalb der wirklichen Möglichkeiten, die das Thema hat.

Was macht die Relevanz des Themas Bio für den Lebensmittelmarkt aus?

Wachstum in eigentlich schrumpfenden Marktsegmenten

Bio hat sich unter den Bedingungen Mitteleuropas als Wachstumsnische bewährIn Zeiten schrumpfender Konsumentenzahlen und schrumpfender Märkte bietet das Thema Bio eine Wachstumschance mit einer Nische, die im Unterschied zum Gesamtmarkt erkennbar wächst. In klassischen Flächenmärkten wie Deutschland und Frankreich gleicht das Wachstum in der Nische das Schrumpfen großer Märkte wie etwa des Lebensmittelbereichs aus.

Bio ist eine Quelle für Relaunch und Innovation

Umkämpfte Märkte leben von Innovationen. Marken müssen sich stets zu Teilen neu erfinden. Produktbereiche kämpfen mit innovativen Sortimenten um die Erneuerung schrumpfender Marktanteile.

Der Biobereich bietet dort Chancen für große Etablierte wie für Newcomer. Es gibt sowohl Beispiele von Marken, die durch das Aufgreifen dieser Thematik neue Dimensionen gewonnen haben wie Beispiele von Start-Ups, die in – von außen betrachtet – scheinbar völlig aussichtslosen Produktbereichen sich extrem erfolgreich in den Markt gebracht haben. 

Bio bietet Ansatzpunkte für den Kontakt über Wunschthemen der Verbraucher

Naturschutz, Ressourcenschonung, positive Umweltpolitik, fairer Handel, Nachhaltigkeit sind Themen, mit denen man das Wunschprofil interessanter Konsumentengruppen erreicht. Da diese globalen Ziele alle mit dem Thema Bio ursächlich zusammenhängen, gibt Bioqualität immer einen hervorragenden Ansatzpunkt, um sich als Marke, als Produkt, als Produzent wie als Einkaufsstätte damit zu profilieren. Die Schwerpunkte innerhalb dieser Themen verschieben sich, aber die Grundthematik bleibt und bietet damit die Möglichkeit, mit immer neuen Aspekten relevante Verbraucherwünsche und Themen aufzugreifen.

Bioqualität verkörpert nachprüfbare Mehrwerte 

Neben dem vergleichbaren konventionellen Produkt verkörpert das Bioprodukt eine höhere Wertanmutung. Faktisch ist der Wert durch die Abwesenheit definierter chemischer Stoffe und Hilfsmittel definiert, die eine große Anzahl der Verbraucher als tendenziell gesundheitsschädlich einstufen. Verbunden mit den entsprechenden Kontrollen, die durch ein Biosiegel und eventuell weitere Verbandssiegel dokumentiert werden, wird der beanspruchte Mehrwert für den Käufer des Produkts dokumentiert.

Gerade im Lebensmittelbereich wird das Bioprodukt neben dem konventionell erzeugten als komplett anderes Produkt gewertet.

Bioqualität bietet Chancen zur Differenzierung und neuen Produktkonzepten

Bioqualität weckt bei Verbrauchern vorgeprägte Erwartungen: Als natürlich wirkende Materialien, umweltfreundliche Verpackung und Zusammensetzung, als gesund positiv wirkende Inhaltsstoffe.Superfoods, Superfruits und Signalworte für interessante Inhalte ermöglichen es einem Produkt mit einfachen und weitverbreitet gelernten Signalen unter Beweis zu stellen, dass es auf der Höhe der Zeit ist.

Werden die Möglichkeiten des Biomarketing immer wirklich genutzt?

Man darf mit Fug und Recht vermuten, dass die neuen Möglichkeiten, die sich in diesem Bereich bieten noch längst nicht alle durch-reflektiert und aufgearbeitet sind. Für die ursprünglichen Player dieser Sparte war das ein überwiegend abwegiger Gedanke, weil das eigene Handeln – wie das der eigenen Firmen – allein von der eigenen Überzeugung und nicht von strategischen Überlegungen getrieben war. Beim Schub der ersten Erfolge vieler Firmen gab es dafür zunächst auch keine Notwendigkeit, mit der Zeit allerdings wohl mehr und mehr. Es täte den meisten der Player gut, die eigene Rolle im Markt wesentlich reflektierter zu nutzen. Es gibt durchaus Marketing-getriebene Ansätze zu einer modernen Markenpolitik. Sehr auffällig etwa bei den Handelsketten wie etwa der Entscheidung von Rewe neben ReweBio ans eine Marke Naturgut zu denken, auch der Wechsel bei dm auf dm-Bio zusetzen statt auf Alnatura, deutet in diese Richtung und immer wieder kommt man nicht an dem Quereinsteiger Veganz vorbei.

Diese Vorbilder zeigen auch, was klassische Markenartikler versäumt haben

Ja, die wurden von einigen Beratern zu dem Trugschluss verführt, man könne eine klassische Marke mit dem Zusatz „Bio“ versehen und dann sei das ein Mehrwert oder was auch immer. Das funktioniert nicht, weil Verbraucher von Bio mehr erwarten und auch die hilflose Überanpreisung von Bioqualität mit „strengsten Bioanforderungen“ und Blabla helfen da nicht. Bio braucht ein Gesicht, wie etwa die story von Veganz oder die Lebensgeschichte von Attila Hildmann. Und Größe ist nach wie vor kein Hinderungsgrund das Thema Bio aufzugreifen. Auch wenn sich Marken mit einem ehrliche Hintergrund dafür wie etwa Arla zugegebenermaßen schwer tun. Bioakzeptanz lässt sich nicht nur vom Schreibtisch aus generieren, man muss auch die Nase für die echten Trends haben. Aber die allein hilft auch nicht.

Noch ein Wort zu den vielen Start-Ups, die auch irgendwie mit Bio verbunden sind

Die Szene ist reicher geworden. Es gibt Produktideen, die echte Bedarflücken bedienen, andere, wie eher ein Versuchsballon auf der Basis modischer Zutaten sind. Bei vielen der Gründer spürt man geradezu den Drang zur Marke. Teilweise wird auch richtig liebevoll kommuniziert mit guten Fotos und allerdings auch oft hilflosen PR-Gebaren. All jene sollten vielleicht erst einmal die Erfolgsgeschichte von MyMüsli studieren, angefangen mit einer ziemlich mutigen Idee, dem eigenen Wunschmüsli, mit dem Mut ein anderes und hochpreisig sinnvolles Produkt mit Ausstrahlung zu wagen und schließlich dann doch mit der ebenso entschlossenen Bereitschaft, sich auf eine ganz andere Vertriebsform einzustelllen. Nicht aus jeder Idee kann ein solcher Erfolg werden, aber die Erfolgsstory zeigt, dass am Ende die klassischen Elemente des Marketing von Produkt, über Kommunikation bis hin zu Vertrieb und Preis eben doch eine wichtige Rolle spielen. Was bewundernswert ist an etlichen dieser Start-Ups ist der Optimismus und das Engagement der Gründer. Etlichen fehlt aber auch noch das wirkliche Gefühl für das Lebensmittelumfeld, in dem man sich mit allem, was man hier tut und tun möchte, bewegt.

Und vielleicht wäre es ja auch eine ganz interessante Geschichte, einmal – und ich meine ganz liebevoll und um zu lernen – über all die vielen Fehler und Irrwege zu sprechen, aus denen sich auch 30 bis 35 Jahre Bio in Deutschland zusammensetzt, um daraus zu lernen und um interessante Schlüsse zu ziehen für neue Ideen. Einmal ehrlich anschauen: Was hat man alles gedacht? Was ist wirklich geworden, was ist nicht geworden? Für die Lang-Version ist an dieser Stelle nicht der Platz, aber sie wäre bestimmt nütztlich.

Dr. Klaus-Jürgen Holstein